Mit diesen Worten leitete Johann Nikolaus Forkel im Jahr 1783 in
seinem Musikalischen Almanach einen Nachruf auf Johann Philipp
Kirnberger ein. Forkels Formulierungen zeigen, dass J. P. Kirnberger,
der einstige Hofmusiker der Schwester Friedrichs II., Prinzessin Anna
Amalia, noch am Ende des Jahrhunderts sowohl als Musiker und Komponist
als auch als Musiktheoretiker von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde.
Bereits 1802, zwanzig Jahre später, hatte sich dieses Bild auch bei
Forkel auf jene zwei Aspekte des Schaffens und der Biographie
Kirnbergers verengt, die bis heute unser Bild bestimmen: auf den
„Theoretiker“ und den „Bach-Schüler“. In Forkels Bach-Biographie heißt
es nunmehr: „Er war einer der merkwürdigsten unter Bachs Schülern, voll
des nützlichsten Kunsteifers und wahren hohen Kunstsinnes. Außer der
Entwicklung der Bachischen Lehrart in der Composition, hat ihm die
musikalische Welt auch das erste und einzige haltbare System der
Harmonie zu danken, welches er aus seines Lehrers praktischen Werken
abstrahiert hat.“ Damit sind zwei wesentliche Gesichtspunkte seines
Wirkens benannt, denen jedoch zumindest mit Kirnbergers Tätigkeit als
Musikaliensammler bzw. Begründer des musikalischen Teils der Bibliothek
der Prinzessin Anna Amalia, als Lehrer sowie – last but not least – auch
als Komponist drei weitere hinzuzufügen sind.
Über den Lebensweg dieses „[M]erkwürdigsten unter Bachs Schülern“
geben eine frühe biographische Mitteilung bei Friedrich Wilhelm Marpurg
sowie ergänzend eine spätere bei Ernst Ludwig Gerber Auskunft. Demnach
wurde Kirnberger am 24. April 1721 in Saalfeld (Thüringen) geboren und
erhielt bereits in frühen Jahren Unterricht auf der Violine und dem
Cembalo. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Coburg erweiterte er seine
musikalischen Kenntnisse bei Johann Peter Kellner in Gräfenroda und in
Sondershausen bei dem dortigen Hofmusiker Meil und Heinrich Nicolaus
Gerber. Marpurg und E. L. Gerber berichten weiter von einem zweijährigen
Aufenthalt Kirnbergers in Leipzig (ab 1739), bei dem er von Bach
Unterricht in Klavier und Komposition erhalten habe. Dem stehen
allerdings Einträge in Kirnbergers fragmentarisch erhaltenem Stammbuch
entgegen, die einen Aufenthalt in Leipzig nur für die Monate Januar und
März 1741 belegen. Gesichert hingegen scheint, dass sich Kirnberger ab
1741 für zehn Jahre in wechselnden Anstellungen als Cembalist in Polen
aufhielt, bevor er schließlich 1751 nach Deutschland zurückkehrte, über
Coburg, Gotha und Dresden nach Berlin kam, wo er zunächst in der
Preußischen Hofkapelle als Violinist Auskommen fand. Allerdings ist
Kirnbergers Name in keinem Etat der Hofkapelle aus diesen Jahren
verzeichnet, der er nach Marpurg von 1752 bis um 1754 angehört haben
soll. Zum späteren Ausscheiden aus der Kapelle heißt es, dass er diese
„[...] jedoch nunmehr, nach erhaltener allergnädigsten Erlaubniß, mit
der Capelle Sr. Königl. Hoheit, des Markgrafen Heinrich, verwechselt
hat.“ Somit wirkte er ab 1754 als Cembalist in der Kapelle des
Markgrafen Heinrich von Brandenburg-Schwedt (1709-1788), bevor er im
Jahr 1758 in ein Amt als Hofmusiker und Lehrer bei der musikbegeisterten
Prinzessin Anna Amalia wechselte, das er bis zu seinem Tod 1783
bekleidete.
Vornehmlich dieser letzten, fünfundzwanzigjährigen Arbeits- und
Lebensphase entstammen Kirnbergers große theoretische Arbeiten, die
bereits zu Lebzeiten umfassend rezipiert wurden und bis heute Gegenstand
zahlreicher Studien sind. Hingegen lässt sich Kirnbergers
kompositorisches [OElig]uvre – nicht zuletzt auf Grund des Fehlens eines
modernen Werk- und Quellenverzeichnisses – bislang nur unzureichend
beschreiben. Einzig der Bereich seiner Klaviermusik wurde durch Ruth
Engelhardt detailliert erfasst und im Hinblick auf seine Beziehungen zur
Kompositionstechnik J. S. Bachs untersucht.
Im Bereich der Triosonaten – unter Einbeziehung der Fassungen für
Cembalo obligato und einer Solostimme – gestattet die Überlieferungslage
die Eingrenzung eines Werkbestands von zwölf erhaltenen Kompositionen.
Unter diesen befindet sich nur eine, die in einer Quelle eine
widersprechende Zuschreibung aufweist (Nr. 11). Zwei der Werke wurden
von Kirnberger im Jahr 1763 in Berlin bei Birnstiel veröffentlicht [Nr.
5, und Nr. 8 (RISM A/I K 827)]. Trotz der Publikation dieser zwei Trios
noch in den frühen sechziger Jahren deuten einige Umstände darauf hin,
dass ein nicht geringer Teil der von Kirnberger überlieferten
Instrumentalmusik, zu der neben der Klaviermusik und den Triosonaten
auch Solosonaten, Sinfonien, Ouverturen und Konzerte zu zählen sind,
bereits den vierziger und fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts
entstammt – vornehmlich also jenen Jahren, in denen er noch als aktiver
Musiker in Hofkapellen wirkte. So berichtet Marpurg 1754 über die von
Kirnberger bereits bekannten Werke: „Seine bisherige Compositionen sind
einige lateinische Messen, Fugen, Clavierkoncerte, Trios und Solos etc.
für die Flöte und Violine.“ Durch die Quellenbefunde kann diese These
allerdings nur bedingt gestützt werden, da eine Vielzahl der
überlieferten Quellen der Rezeption der sechziger bis achtziger Jahre
des 18. Jahrhunderts in Berlin entstammen.
Äußerlich orientieren sich Kirnbergers Triokompositionen an den
Gattungsnormen zeitgenössischen norddeutschen Komponierens, in
deutlicher Anlehnung an den durch die Brüder Graun geprägten Stil. Im
Detail weisen sie aber eine durchaus eigene Prägung auf, insbesondere
durch Kirnbergers Affinität zu einem von ihm auch in seinen Schriften
propagierten Ideal eines „gearbeiteten“ bzw. „gelehrten“ Stils. Eine
Charakterisierung dieses Ideals enthält der Artikel „Trio“ in J. G.
Sulzers Lexikon „Allgemeine Theorie der schönen Künste“, deren Artikel
zu musikalischen Themen Kirnberger teilweise erarbeitet hatte: „In den
besten Trios dieser Art ist ein sprechender melodischer Saz zum Thema
genommen, der wie in der Fuge in den Stimmen abwechselnd, aber mit
mehrerer Freyheit, und nur da, wo er von Ausdruk ist, angebracht wird;
oder es sind deren zwey oder drey, die oft von entgegengeseztem Ausdruk
sind, und gleichsam gegen einander streiten. Singende und jedem
Instrument gemäße Begleitung des Thema; freye Nachahmungen; unerwartete
und wolklingende Eintritte, indem eine Stimme der andern gleichsam in
die Rede fällt; durchgängig ein faßlicher und wolcadenzierter Gesang und
Zwischensäze in allen Stimmen, ohne daß eine durch die andere
verdunkelt werde; auch wol zur Abwechslung Schwierigkeiten und Passagen
von Bedeutung, füllen den übrigen Theil des Stüks aus, und machen das
Trio zu einem der angenehmsten Stüke der Cammermusik.“ Kirnberger darf
als bedeutender Repräsentant der Ära der „Berliner Klassik“ gelten, an
deren Formung er durch seine theoretischen Arbeiten sowie die
Publikation eigener und auch fremder Werke wesentlichen Anteil hatte
(vgl. dazu auch das Reihenvorwort zu dieser Edition von Chr. Henzel, S.
VI). Auch Kirnbergers Kompositionen wurden Teil des Repertoires der
Berliner klassischen Musik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
einem Werkkanon, der, wie die Quellenüberlieferung belegt, im Gedächtnis
der norddeutschen Musikkultur noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
einen festen Platz beanspruchte.
(Tobias Schwinger)