Zur Entstehungsgeschichte und Klangflächenkomposition:
Im Dezember 1956 floh György Ligeti unter dramatischen Umständen aus Ungarn.
Der 33jährige gelangte zunächst nach Wien, wo er kurz bei der Universal Edition arbeitete, dann auf Einladung Herrn Dr. Herbert Eimerts nach Köln, wo er im Keller des Westdeutschen Rundfunks im elektronischen Studio arbeitete.
Der junge Komponist, der in Ungarn fast vollkommen abgeschnitten von den Nachkriegsentwicklungen in der Musik gelebt hatte, begegnete dort zum ersten Mal nicht nur den damaligen elektronischen Möglichkeiten und der Musik Anton Weberns, sondern auch Komponisten wie Stockhausen, Koenig, Evangelisti, Helms, Kagel und anderen.
Diese Begegnungen versetzten dem Neuankömmling einen Schock, "vielleicht den schönsten" seines Lebens, wie Ligeti es später beschrieb.
Diese Einflüsse fielen auf äußerst fruchtbaren Boden und binnen vier Jahren hatte Ligeti Erstaunliches hervorgebracht: die elektronische Werke Glissandi und Artikulation, eine theoretische Kritik Pierre Boulez’ Structures Ia, sein persönliches Musik-Manifest "Wandlungen der musikalischen Form" (beides in der berühmten Wiener Musikzeitschrift Die Reihe veröffentlicht) und schließlich zwei Werke für Orchester: Apparitions und Atmosphères.
Diese Werke waren stark beeinflußt von Ligetis Erfahrungen mit der Elektronik, wie Ligeti selbst erkennt:
"Die ersten Vorstellungen zu den Orchesterstücken Apparitions und Atmosphères bestanden darin, das ganze Orchester aufzufächern, aufzuteilen in Einzelstimmen: nicht nur die Bläser, wie das schon früher der Fall war, sondern auch alle Streicher; es handelt sich also um ein totales Divisi. Die Einzelstimmen haben nicht die Funktion wie in der Klassischen Musik, sondern sie tauchen vollkommen unter in ein globales Gewebe, und die Wandlungen, die internen Veränderung dieses großen Netzwerkes sind wesentlich für die musikalische Form [...]. Die Möglichkeit, so etwas zu komponieren oder auf dieser Weise kompositorisch zu denken, resultiert vor allem aus den Erfahrungen im elektronischen Studio.¹"
So György Ligeti.
Was daraus musikalisch resultierte, umschreibt Ligeti mit dem Ausdruck "Tonhaufen"; dabei bezieht er sich auf Xenakis’ Metastasis und Stockhausens mittels serieller Techniken komponierter Gruppen.
Die damals entstehende Kompositionsart wird heute 'Klangflächenkomposition' genannt.
Nochmals dazu Ligeti:
"Das musikalische Geschehen manifestiert sich also nicht mehr auf der Ebene der Harmonik und Rhythmik, sondern auf der Ebene der klanglichen Netzstrukturen.
Dadurch stieß ich in einen Bereich subtiler Sonoritäten vor, die einen Zwischenbereich zwischen Klängen und Geräuschen bilden. [...] Getragen wird das musikalische Geschehen von Klangfarbentransformationen.²"
Joyce Shintani
¹ G. Ligeti, Berlin, 1970
² G. Ligeti, zitiert in: H. Rösing, München 1972
Entstehungsjahr: 1961
Besetzung: 4 4 4 4 - 6 4 4 1 - Klav(2 Schl-Spieler), Str (7 7 5 5 4)
Auftraggeber: Kompositionsauftrag des Südwestfunks, Baden-Baden, 1961
Dauer (min): 9
Widmung: In memoriam Mátyás Seiber