UA Como (Autunno musicale), 30. September 1970
Das Stück ist entstanden im Zusammenhang mit Vorstellungen von einer "instrumentalen Musique concrète".
Gemeint ist damit eine Musik, in welcher die Schallereignisse so gewählt und organisiert sind, daß man die Art ihrer Entstehung mindestens so wichtig nimmt wie die resultierenden akustischen Eigenschaften selbst.
Diese Eigenschaften wie Klangfarbe, Lautstärke usw. klingen also nicht um ihrer selbst willen, sondern sie beschreiben beziehungsweise signalisieren die konkrete Situation: Man hört ihnen an, unter welchen Bedingungen, mit welchen Materialien, mit welchen Energien und gegen welche Widerstände eine Klang- oder Geräusch-Aktion ausgeführt wird.
Dieser Aspekt wirkt allerdings nicht von selbst. Er muß durch eine Kompositionstechnik erst einmal freigelegt und unterstützt werden, die den üblichen, hier aber störenden Hör-Gewohnheiten stillschweigend, aber konsequent den Weg verstellt. In diesem ganz friedlichen Unterfangen liegt möglicherweise das öffentliche Ärgernis ...
Natürlich spielt hierbei auch die Klang-Verfremdung eine wichtige Rolle. Sie hat so weder expressive noch absolut akustische Bedeutung. Sie ergibt sich keineswegs als Extremfall, sondern ganz logisch und ohne äußerliche Spekulation aus der Notwendigkeit, die erwähnten energetischen Bedingungen, unter denen Schall erzeugt wird, abzuwandeln, sie in ihren verschiedenen Abstufungen aufeinander zu beziehen, das heißt: zu komponieren.
In diesem Sinn ist Pression ein Modell.
Abgewandelt und komponiert werden hier Druckverhältnisse bei Klang-Aktionen am Cello.
Der reine, "schöne volle" Celloton ist darin also nur ein Sonderfall unter verschiedenen Möglichkeiten des Bogendrucks, der Bogenhaltung, der Bogenführung an einer bestimmten Strichstelle, bei besonderer Präparierung dieser Stelle durch die linke Hand des Spielers usw., wobei alle diese Gegebenheiten, die hier zusammenwirken, einzeln für sich abgewandelt werden können.
Im Fall des schönen, professionellen Cellotons ist - wie bei allen für unsere Gesellschaft "schönen" Klängen - das Verhältnis von Aktion und Resultat besonders ausgewogen, was Anstrengung und Widerstand betrifft.
Woanders, etwa bei äußerstem Druck der gleitenden Fingerkuppe über die aufgelegte Bogenstange, ist das Verhältnis viel komplizierter:
Ein kaum zu hörendes Klangresultat kündet gleichsam von einem maximalen Kraftaufwand.
Das mag ein bloßes Spiel sein: Es ist auf jeden Fall ein Angebot an den Hörer, zu hören: anders zu hören und seine Hörgewohnheiten und die dahinter verborgenen ästhetischen Tabus anhand einer charakteristischen Provokation bewußt zu machen und zu überprüfen.
Es ist außerdem ein Versuch über die Verständlichkeit, und dies anhand einfacher konkreter Spannungsprozesse, die es nicht zu entschlüsseln, sondern zunächst ganz realistisch zu erfahren gilt. Hören heißt hier auf keinen Fall wieder: zustimmend mitvollziehen, sondern heißt: Rückschlüsse ziehen, umschalten - denken.
24 Seiten 23 x 30,5 cm
(Helmut Lachenmann, 1972)