f. 4 Chöre und Röhrenglocken
„De Poeta“ entstand 1988 und ist die Vertonung des berühmten „Wessobrunner Gebets“, der ältesten, um 800 entstandenen deutschen Dichtung christlicher Prägung.
Der als „De Poeta“ („von einem Dichter“) überschriebene althochdeutsche Text verbindet heidnisch-germanische
mythologische Elemente der Naturreligion mit christlichem Glaubensgut und besteht aus zwei Teilen: einer im Stabreim verfassten Vision des Schöpfungsgedankens und einem frommen Anrufen und Beten, das dem Endreim verpflichtet ist.
Die musikalische Vertonung lehnt sich an diese zwei Formen des Reimes an und verwendet als Tonmaterial achttönige Modi, die auf die antike Tetrachordlehre zurückgehen.
Die Tonsprache will keinesfalls als eine Kopie des Mittelalters verstanden werden, macht aber wesentlich Gebrauch von antiphonalem, responsorialem, mehrchörigem Gesang, von freiem, gleichsam Neuem nachzeichnendem Rhythmus und versucht, die geistige Aussage früher Zeiten in ihrer Bedeutung für uns heute neu zu artikulieren.
Die Besetzung für vier Chöre und Glocken entspringt dem Zauber der Verbindung von mit-, zu- und
gegeneinander gesungener Sprache mit dem „elementaren“ Erklingen der Glocken, welches die
menschliche Stimme „weiter tragen“, das Gesungene „verkünden“ und kontrapunktieren soll.
Michael Radulescu
De Poeta:
Dat gafregin ih mit firahim
firiuuizzo meista:
dat ero ni uuas noh
ufhimil
noh paum noh pereg ni uuas
ni nohheinig
noh sunna ni scein noh mano
ni liuhta
noh der mareo seo.
Do dar niuuiht ni uuas
enteo ni uuenteo
enti do uuas der eino almahtico
cot manno miItisto…
Cot heiIac…
Cot almahtico da himil enti
erda gauuorahtos
enti du mannun so manac
coot forgapi
forgip mir in dino ganada rehta galaupa enti cotan uuilleon uuistom
enti spahida craft tiuflun za uuidarstandanna enti
arc za piuuisanne enti dinan uuilleon za gavorchanne.
Von einem Dichter:
Das erfragte ich mit frommem
Fürwitz als das Höchste:
dass die Erde nicht war noch oben der
Himmel
weder Baum noch Berge waren noch irgend
etwas
weder schien die Sonne noch leuchtete der
Mond,
noch (war) das große Meer.
Da nichts war
weder hier noch da,
da war (aber) der eine allmächtige
Gott, der dem Menschen so mild…
Gott heiliger
Gott allmächtiger, der du Himmel und
Erde erschaffen,
und der du dem Menschen so manch
Gutes verliehen,
verleih mir in deiner Gnade rechten Glauben und guten Willen,
Weisheit und Mut, Kraft, Teufeln zu widerstehen
und Arges (von mir) zu weisen und deinem Willen zu gehorchen.
(Kloster Wessobrunn, um AD 800)