Der Zyklus TEMPORA für Violoncello und Streichorchester entstand in den Jahren 2003 und 2004 für den Cellisten Andrej Melik.
Geplan war von Anfang an eine Aufführung zusammen mit dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms. Hieraus ergab sich der Grundgedanke eines quasi kleinen Requiems ohne gesungenen Text vor dem "großen" Requiem mit starker Chorpräsenz. Wie bei Brahms steht auch hier der Trost des Evangeliums für die Lebenden im Mittelpunkt.
Über dem ganzen Zyklus steht der Text aus Jesaja 54: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Die tröstende Zusage des Textes steht oft im krassen Gegensatz zur Erlebniswelt vieler Menschen durch alle Zeiten hindurch.
Neben dem alltäglichen Grauen auf unserer Erde sind für uns Menschen unsere Vergänglichkeit und das Gefühl, dass einem die Zeit zwischen den Fingern verrinnt (tempusfugit), ein zentraler Punkt unseres Lebens, an dem die christliche Botschaft Trost spenden kann. In dem Lied „Der du die Zeit in Händen hast”, das Jochen Klepper 1938 gedichtet hat, kommt diese Zuversicht zum Ausdruck.
Die Orchesterbässe spielen in Tempus Fugit die Melodie des Liedes am Ende der einleitenden Fuge, die sich formal – als Zeichen der verrinnenden Zeit – nach und nach immer mehr auflöst. Der Tod gehört zum Leben dazu und ist all gegenwärtig (mementomori). Günter Schotts Lied "Wenn ich, mein Gott, einst sterben soll, so schenke du mir deine Nähe", das im zweiten Satz von den Violinen gespielt wird, spricht dieses Thema an und vermag mit Text und Melodie der Hoffnung auf die Nähe Gottes im Tod Ausdruck zu verleihen.
Carpe Diem steht nicht nur dafür, jeden Moment des Lebens bewusst wahr zu nehmen, sondern auch jede Möglichkeit zu nutzen, das Leben, auch für andere, lebenswerter zu machen, d.h. im Kleinen und Alltäglichen durch Freundlichkeit, Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft Funken der Hoffnung aus zu streuen. Das Solocello übernimmt hier diesen Part, indem es das Spiritual "Sometimes l feel like a motherless child" zuerst in seiner ursprünglich leidenden Gestalt, zu Ende aber nach Durgewandelt spielt.